das fernsehen ohne fernseher.
…ist längst Realität. Während das Konzept Ende der 90er noch an technischen Hürden scheiterte, setzt es sich nun durch. Dank Hochgeschwindigkeitsinternetzugängen lassen sich bewegte Bilder längst nicht mehr nur über das herkömmliche Fernsehgerät schauen, viele Jüngere nutzen den Computer schon als Primärmedium für diese bewegten Bilder. Sehen, was und wann ich will – Individualisierung ist die Devise. Sender, Produzenten, Vermarkter und Agenturen stehen angesichts dieser signifikanten Veränderungen vor massiven Problemen. Die Geschäftsmodelle des Privatfernsehens, wie sie seit 20 Jahren bestehen, sind nicht mehr zukunftsfähig. Selbstverständlich wird es noch eine Weile dauern, bis das Fernsehen, wie wir es kennen, zum Auslaufmodell wird. Doch die Nutzerschaft wird künftig älter und damit unattraktiver für die Werbungtreibenden. Es ist höchste Zeit für Sender, Produzenten und Agenturen, sich den ändernden Gegebenheiten anzupassen, zu überlegen, wie werbefinanziertes TV in Zukunft aussehen könnte.
Noch immer ist auf diversen Chefetagen deutscher Sender zu hören, IPTV, also Fernsehen mit Hilfe des Internet-Protokolls, sei doch nur “ein weiteres Kabel, durch das unser Programm geleitet wird”. Der Zuschauer schaue doch auch kein PAL oder Digital-TV, er schaue Fernsehen, alle anderen Begriffe seien ihm egal. Das widerspricht der Realität leider komplett. Natürlich ist es dem Zuschauer nicht wichtig, über welchen Weg die Bilder in seine Wohnung kommen, entscheidend sind jedoch die Veränderungen, die durch das Internet-Protokoll entstanden sind. Er ist eben nicht mehr darauf angewiesen, Programme zu dem vom Fernsehsender vorgegebenen Zeitpunkt zu schauen, sondern kann das tun, wann er will – aus einem Angebot, das bereits jetzt unfassbar groß ist. Warum sollte ein Konsument beispielsweise noch Musikfernsehen schauen, wenn er bei YouTube ein unendliches Archiv der Popkulturgeschichte vorfindet – nahezu jeden Videoclip, der je gedreht wurde. Ein paar Klicks und der User kann sich eine stundenlange Musikvideo-Playlist zusammenstellen. Wer schaltet da noch MTV ein?
Auch auf Sender wie ProSieben wirken sich diese neuen Nutzungsweisen längst aus. Die neuen Staffeln von “Lost” und “Desperate Housewives” laufen beispielsweise überraschend mittelmäßig. Das liegt nicht nur an der Gegenprogrammierung der Konkurrenten, sondern sicher auch daran, dass sich selbst technisch wenig versierte Menschen die neuesten Folgen direkt nach der Ausstrahlung in den USA aus dem Netz ziehen können. Wer wartet da noch ein Jahr, um sie bei ProSieben zu schauen? Mit ein bisschen technischem Geschick werden die Serien anschließend auf dem Fernseher angeschaut und nicht auf dem Computer-Monitor. Mittlerweile sind es nicht mehr nur ein paar Freaks, die ihren Bewegtbild-Konsum auf diese Weise zusammenstellen, es sind Millionen. In Deutschland hat die Fallhöhe zumindest solche Werte erreicht, dass ProSieben spürbar leidet. Doch nicht nur amerikanische Serien werden auf diese Weise konsumiert, auch deutsche Formate wie “Pastewka“, “Stromberg“, “Harald Schmidt” oder “Dittsche” sind wenige Stunden nach der Ausstrahlung im Netz verfügbar.
Die technischen Hürden sinken dabei zunehmend. Schon bald werden Geräte auf dem Markt sein, mit denen man jeglichen Videocontent auf seinen Fernseher zaubern kann. ProSieben genauso wie Video-Podcasts, das ZDF konkurriert mit YouTube. Die Schere zwischen Sofa-Inhalten und Schreibtisch-Inhalten schließt sich. Bereits jetzt macht der unfassbar erfolgreiche Personal Videorecorder (PVR) TiVo in den USA keinen Unterschied mehr darin, ob er eine Sendung aus dem herkömmlichen Fernsehen aufnimmt oder eine Sendung aus dem Internet wie “Rocketboom“. Mit Spannung wird bereits das iTV von Apple erwartet, ein Gerät, das leicht bedienbar alle Computerinhalte auf den Fernseher bringt.
Das – zugegebenermaßen derzeit massiv überhypte – Thema “User-generated Content” hat zudem die Sender erreicht. Nie war es einfacher, Videobilder zu produzieren und zu veröffentlichen. Jeder kann mit einem Handy einen Film aufnehmen und ihn bei YouTube, Sevenload oder Revver hochladen. Aus einer Handvoll Konkurrenten, die die Fernsehsender noch vor wenigen Jahren hatten, sind nicht mehr nur 100 Digitalsender geworden, sondern Millionen weltweiter Produzenten von Videobildern. Der “long tail” im Bewegtbildmarkt wird immer länger, zu skurrilsten Hobbys und Interessen gibt es mittlerweile TV-Sendungen, nur eben nicht mehr im Fernsehen. Dass dieser Trend nicht unterschätzt werden sollte und das Argument der mangelnden Qualität nicht zieht, zeigen Erfolge von Videopodcasts – auch aus Deutschland.
In Zukunft wird es für Sender und damit auch für Agenturen und Werbungtreibende umso mehr darauf ankommen, den Nutzer dort zu erreichen, wo er es will. Bei der BBC in England hat sich dieses Denken bereits durchgesetzt, man zeigt alle Sendungen auch im Web, probiert aus und schätzt die Lage des Fernsehens realistisch ein: “This might be the last time, a British tv channel gets 25?%” sagte BBC-Innovations-Chef Matt Locke angesichts der Quoten während der Fußball-WM. Er startet fast wöchentlich neue Projekte, um sie im Netz zu testen. Interessanterweise gibt es bei der BBC auch kein “television department” mehr. Jeder BBC-Mitarbeiter, egal, ob er eine TV-Dokumentation oder eine Radiosendung produziert, muss gleichzeitig überlegen, wie die Inhalte webaffin aufbereitet werden können. Auch große US-Networks wie CBS, Fox oder ABC zeigen Serienfolgen von “Lost” & Co. mittlerweile parallel im Internet, haben eigene Unterangebote bei YouTube oder zeigen Staffel-Premieren von “O.C., California” nicht im Fernsehen, sondern eine Woche zuvor bei MySpace. In Deutschland hat vor allem das ZDF schon begriffen, wie die Zukunft aussehen wird. Die Mainzer wollen ihre Inhalte – soweit rechtlich möglich – mittelfristig komplett ins Netz stellen. Andere, besonders die privaten Kanäle, setzen hingegen weiter auf die Abschottungs-Strategie und verklagen Anbieter von Online-Videorecordern oder Videoplattformen – was verheerend den Reaktionen der Musikindustrie vor wenigen Jahren ähnelt. Noch schlimmer: Anstatt wenigstens die derzeitige Verbreitung des Mediums zu sichern, verschlüsselt man demnächst seine Satelliten-Programme und setzt damit große Teile der Reichweite aufs Spiel. Selbstmord zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Werbeerlöse immer noch nur auf dem Stand von 1998 befinden und auch keine Anstalten machen, wieder fundamental zu wachsen.
Bereits jetzt experimentieren Unternehmen wie Mini mit “User-generated Content” im Internet. In einem “Webclip Contest” wurden Nutzer beispielsweise aufgefordert, Werbefilme für den Mini zu drehen. Etwa 250 machten mit, die Ergebnisse waren laut Mini-Marketingchef Hans-Peter Kleebinder “erstaunlich professionell und gut”. Da kann SevenOne-Marketing-Chef Andrea Malgara auf Veranstaltungen wie dem Burda Video Day noch so oft sagen, es sei “extrem gefährlich, eine Marke mit Viral Marketing und User-generated Content zu promoten”. Das geschieht längst und es ist alles andere als extrem gefährlich. Mini setzt weiterhin – u.a. mit Videoblogs bei der IAA auf solche Inhalte und erreicht Zielgruppen, die sonst verloren wären. Wie interessant das Internet als Plattform für Videobilder auch für Werbekunden längst geworden ist, zeigt ein Ad-Server, der von Burda vor Kurzem vorgestellt und nun bereits eingesetzt wird. Der Server sorgt dafür, dass Unternehmen bei der Buchung eines Spots festlegen können, in welchen Inhalten er laufen soll, wie oft und wann. So können Spots beispielsweise nur in Filmen zum Thema Reise, dienstags zwischen 14 und 20 Uhr und bei jedem Nutzer maximal zweimal pro Woche geschaltet werden. Der Werbungtreibende erhält nach kürzester Zeit, und noch während die Kampagne läuft, genaue Zahlen darüber, wie oft der Spot geschaut wurde, wie viele Nutzer sich ihn gleich noch mal angesehen haben, wie viele ihn abgebrochen haben. Vorteile, die das herkömmliche Fernsehen nicht bieten kann. Daran werden auch der Umbau der Kabelkopfstationen und die Verschlüsselung der Programme nichts ändern. Man weiß dann zwar, wie die TV-Kunden heißen und wo sie wohnen, doch wann sie welchen Spot schauen, welche Produkte sie interessieren, bei solchen Fragen liegt das Internet bereits jetzt uneinholbar vorn.
Wie muss die Werbung angesichts dieser Veränderungen also aussehen Schon jetzt wandern große Budgets aus dem Fernsehen ins Netz. Unternehmen werden – wie Mini es schon getan hat – auf intelligentere Formen setzen. Nicht nur “User-generated” sollen die Inhalte sein, sie sollen zudem viral in alle Welt verstreut werden. Für Fernsehsender und Inhalteproduzenten gilt es, mit dem Web zu experimentieren, ihre Bewegtbilder auf Abruf bereitzustellen und die Furcht vor Urheberrechtsverstößen abzulegen. Wenn jemand “Stromberg” auch live im Netz anschauen kann – und danach für ein paar weitere Wochen – mit allen enthaltenden Werbespots, wird er dann in den dunklen Ecken des Internets noch danach suchen? Nein. Bewegtbilder im Internet lassen sich vermarkten. Die deutschen Sender sollten aufwachen. Bevor es zu spät ist.
(Diesen Text habe ich ursprünglich für den kressreport geschrieben – Dort erschien er am 3. November)
Kleine Ergänzung die zum Bild passt:
Die DFL (Deutsche Fußball Liga) aber auch EPL (Englische Premier League) sind inzwischen angriffig gegenüber YouTube und Co. herangetreten, verlangen u.a. die Löschung von Wackel-Handyfilmen, in denen Zuschauer einfach mal 30 Sekunden aus einem Bundesligastadion und -Spiel zeigen. DFL-Pressemann Bender nennt solche Filme “fast kriminell” (siehe T. Knüwer).
Die NHL hat hingegen mit Google Video ein Kooperationsabkommen ausgehandelt und lädt Fans dazu ein, selbst aufgenommene NHL-Filmchen hochzuladen. Zudem sind bei Google Video komplette NHL-Spiele zum anschauen vorhanden (zirka 3-6 Stück pro Team aus dem Oktober).
Zu dem gesamten Bundesliga-Komplex könnte man ganze Extra-Artikel schreiben. Dümmer kann man mit Kunden (hier: Fans) gar nicht mehr umgehen.
zum Musikfernsehen: Stimmt, gut, dass die GEMA YouTube jetzt verklagen will….
Hey, genau darüber hab ich vor ein paar Tagen auch gebloggt. Das Thema geistert mir immer noch im Kopf rum, zeigt es doch mal wieder, dass die Anbieter nur schwer neuer Nachfrage nachgeben können und wollen, sondern sich auf dem alten Angebot festbeißen. Und den Vergleich mit der Musikindustrie sehe ich ganz genauso. Anstatt sich dem Markt anzupassen, wird er kaputtzensiert und -verklagt.
Ist schon eine heiße Sache…
btw: Durfest du den Artikel einfach so hier veröffentlichen, oder hast du nachgefragt?
Naja, der Text stammt ja von mir. Aber dass er auch hier im Blog erscheint, ist abgesprochen.
Schon mal was vom Urheber-Recht gehört, izanagi.
Im Prinzip ist es wie mit dem alten Grünen-Spruch:
Die Verleger haben die Artikel nicht von ihren Autoren geerbt, sondern nur von ihren Mitarbeitern geliehen.
Oder so ähnlich. Jedenfalls verleiht ein Autor einem Medium nur das Recht, den Artikel abzudrucken – und behält sich das Recht vor, ihn auf eigenen Websiten zu veröffentlichen.
Steht bei mir im Lieferschein/in der Rechnung und wurde von “Spiegel” über “Wirtschaftswoche” bis “w&v” immer akzeptiert. Manchmal musste noch die Rechtsabteilung ihr okay geben, aber es ist am Ende kein Problem, wenn der Urheber sich auf die Hinterfüße stellt.
[…] +++ Der popkulturjunkie befasst sich in einem laaaangen Artikel mit dem Thema ‘das fernsehen ohne fernseher‘. […]
“Bei der BBC in England hat sich dieses Denken bereits durchgesetzt, man zeigt alle Sendungen auch im Web…”
Der erste Teil stimmt, der zweite nicht so ganz. Mir ist nicht bekannt dass man alle Sendungen im Web sehen kann, vor allem nicht ‘live’. Sicher, ein paar Sendungen (z.B Newsnight) werden parallel im Web uebertragen, aber bei weitem nicht alle.
Ansonsten wuerde TV Licensing wahrscheinlich um einiges haerter mit mir umspringen. Da ich keinen Fernseher habe, habe ich auch keine TV Licence. Koennte oder wuerde ich online Fernsehen (parallel/live, nicht Konserven) sehen braeuchte ich aber eine.
Es gibt allerdings meines Wissens Pilotprojekte wo bestimmte Leute mit superschneller Broadbandverbindung ihr Fernsehen uebers Netz in Vollqualitaet empfangen koennen, Details weiss ich nicht mehr.
Und die Radioausstrahlung wird teilweise (per geotargeting) auf das UK beschraenkt, frag mal dogfood, der kann davon ein Lied singen ;-) Mich hat’s auch mal erwischt als ich auf Besuch bei meinen Eltern in Deutschland war und keinen Fussball hoeren konnte.
Ansonsten gebe ich Dir allerdings Recht, die BBC ist da sehr fortschrittlich.
Bib Streiflicher: Medien…
Weil gerade so viel passiert im Web2.0, dachte ich mir, ich mache mal dem Medienmüsli Konkurrenz. +++
+++ Die GEMA will Youtube-Videos löschen lassen. Man habe Google, die Muttergesellschaft von Youtube, darauf hingewiesen, dass einige der auf dem…
Ich denke, MTV et al. werden noch etwas länger am Leben bleiben.
Derzeit erleben wir ein fröhliches Ausprobieren, an dem man sich je nach Talent und technischer Ausstattung beteiligen kann.
Ich rechne aber eher damit, dass uns bald all diese selbstproduzierten Schnipselchen langweilen und das Suchen nach und Abgrasen von Neuem stressen werden.
Das Ergebnis wird eine Renaissance redaktioneller Inhalte – auf Basis neuer Techniken wie IPTV – sein. Für Qualität wird wieder gezahlt werden. Vermutlich nichts weiter als die Bereinigung nach Konjunkturzyklen.
Por… Por… Porr… bin gespannt, was jetzt kommt.
wieso? was soll denn jetzt kommen?
[…] popkulturjunkie.de » das fernsehen ohne fernseher. (tags: fernsehen internet youtube) […]
irgendwie die alte leier… es ist doch klar dass neue medien alte niemals verdrängen (oder verdrängt haben), allenfalls ergänzen. beispiel videos bei youtube: von der qualität abzusehen, wo bleibt der überraschungsmoment wenn sich im tv oder radio ein song dem ende zuneigt und man gespannt auf die ersten akkorde des neuen wartet? wie kann man neue musik entdecken wenn man bei youtube durch die suche nur auf den pool der einen schon bekannten clips zugreifen kann?
Ergänzend noch zur BBC: Wenn ich mir als Deutsche momentan Ergänzungsvideos zu Torchwood anschauen möchte bleibt der Bildschirm schwarz weil die BBC diese Inhalte nur auf der Insel anbietet. Und den Realmedia-Player für ein kleines, etwas pixeliges Fenster wie vor kurzem noch für die Doctor-Who-Confidentials aufzumachen – ähm – nein…
Ansonsten aber ist die BBC schon sehr klasse, immerhin kann man deren Rundfunkangebot noch eine Woche nach Ausstrahlung komplett anhören. Schön, auch nur mit Realplayer aber immerhin geht das weltweit.
Ad Astra
Das Imperium schlaegt zurueck und kauft sich Communities.
Miteigentuemer von MyVideo, die ProSiebenSat.1 Media AG hat neue Opt In AGB fuer Videouploads implementiert, die dem Konzern es erlauben, nonexklusiv ueber drei Jahre mit dem hochgeladen Material alles zu machen was sie wollen.
Grosse Frage: Wer liest das, wenn er was hochlaedt und auf die Frage “Willst Du ins Fernsehen” mit JAA antwortet, ohne nachzudenken.
Ach ja, man stellt ProSiebenSat.1 natuerlich auf eigenes Risiko frei von Rechtsanspruechen Dritter und eine einseitiges Aufhebungsrechts des per Mouseclick geschlossenen Lizenzvertrages gibt es nicht….
Siehe http://www.myvideo.de/video-einstellen.html
Einige Beispiele sind miener Meinung nach schlecht gerwählt. Gerade das Stromberg Beispiel ist sehr problematisch, da es die Staffeln schon seit über einem halben Jahr bei Prosieben kostenlos und ohne Werbung zu sehen gab (mittlerweile gibt es leider nur noch die Highlights).
Uups sorry ich hatte wohl den Schluss etwas falsch verstanden! Tut mir leid das wird ja weiter oben sauber ausgeführt! Mein Fehler!
Offenbar hat auch der amerikanische Sender CBS die Vorteile von gestreamten Serienfolgen entdeckt.
Fernsehen macht dummm
Einige Beispiele sind miener Meinung nach schlecht gerwählt. Gerade das Stromberg Beispiel ist sehr problematisch, da es die Staffeln schon seit über einem halben Jahr bei Prosieben kostenlos und ohne Werbung zu sehen gab (mittlerweile gibt es leider nur noch die Highlights).