SPIEGELblog. 2
Auf den ersten Blick erscheint ein solcher Satz aus dem heutigen “Spiegel” sehr spektakulär: “Popsänger Ronan Keating etwa schaffte den Charteinstieg auf Position 100 vergangene Woche mit nur 214 bundesweit verkauften Alben.”
Allerdings bedarf es dazu einiger Erläuterungen, denn auch der “Spiegel” kann mal schlampig arbeiten. Ein Blick in die Charts genügt für diese Erkenntnis schon. Ein Album von Ronan Keating auf Platz 100? Gibt’s nicht. Das aktuelle Best-of-Album des Schwurbel-Schlager-Schleimers liegt derzeit auf Platz 35, befand sich auch in den Vorwochen nicht auf Rang 100. Die aktuelle Single “i hope you dance” dagegen liegt tatsächlich auf Rang 100, ist dort aber nicht etwa “eingestiegen”, sondern befindet sich seit 8 Wochen in den Charts. Nun könnte ich mich zu dem Satz hinreißen lassen, dass es ohnehin erstaunlich ist, dass Herrn Keatings Liedchen nach 8 Wochen noch 214 Stück verkauft, aber das tut hier nichts zur Sache.
Denn auch die Zahl von 214 ist nur theoretisch. Die Charts werden auch im Jahr 2004 selbstverständlich nicht durch eine Vollerhebung zusammengestellt, sondern durch Gewichtung der abgefragten, derzeit 2000 Händler.
Die Behauptung, ein Album würde kurz vor Weihnachten mit 214 Exemplaren in die Charts einsteigen, ist nicht nur sensationsgierig, sondern auch falsch. Fakt ist nämlich, dass sich der Album-Markt in Deutschland keineswegs mehr radikal nach unten bewegt. Im ersten Halbjahr 2004 (neuere Zahlen gibt’s noch nicht) wurden in Deutschland 55,1 Mio CDs verkauft – das sind ledglich 800.000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Bei den Musik-DVDs (die auch in die Album-Charts einberechnet werden) gab es sogar einen Zuwachs von 2,5 Mio. auf 4,0 Mio. Und vor Kurzem gab IFPI (das ist der Verband der Musikindustrie) -Chef Gerd Gebhardt sogar bekannt, dass das Weihnachtsgeschäft, das einen Großteil der jährlichen Umsätze generiert, über dem Vorjahr liegt.
Wirklich verloren wird dagegen bei den Single-Verkäufen. Im ersten Halbjahr 2004 wurden 9,8 Mio. Singles in Deutschland verkauft, im Vorjahreszeitraum waren es noch 12,9 Mio. Die Kids von heute geben eben nicht mehr 5 Euro für eine Maxi-CD aus, sondern lieber dasselbe Geld für Handy-Klingeltöne (an denen die Industrie ebenfalls mitverdient). Doch auch das ist ein alter Hut. 214 verkaufte Singles für einen Platz 100 sind also mittlerweile völlig normal und eigentlich keine Meldung wert. Und setzt man die Album- und Single-Verkäufe in ein ungefähres Verhältnis von 6 zu 1, würden also nicht 214 Exemplare für die Albumcharts reichen, sondern ca. 1200.
Letztlich also nur Sensations-Journalismus des “Spiegel” – leider auch mit falschen Behauptungen.