Puh. Es hat ein bisschen gedauert, aber ich musste mich diesmal auch durch 20 (!) New Entries kämpfen. Egal, hier sind die Neu-Einsteiger der deutschen Singlecharts vom 28. März 2005:
99: Orange Blue – “a million teardrops” / Video nicht verfügbar
Jetzt haben doch noch ein paar Teilnehmer der deutschen Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest den Sprung in die Charts geschafft. Gepusht natürlich durch die Show. Vergleicht man die Ergebnisse allerdings mit Stefan Raabs Bundesvision Song Contest, sind sie überaus erbärmlich. Nicht nur musikalisch, sondern auch von den Charts-Positionen. Orange Blue, eine Hamburger Schlager-Kombo hat im Jahr 2000 mal einen Riesenheit gehabt. “she’s got that light” kennt wohl jeder, Platz 4 hat es damals erreicht. Danach kam nichts mehr. Und auch die ARD-Power bringt der neuen Single nur Rang 99. “a million teardrops” ist eine schlimme Kitsch-Schleim-Ballade. Textauszug gefällig? “a million teardrops make an ocean and only love can stand the tide” Hilfe. 1 von 10 Punkten.
94: Villa & Gant vs. Saga – “wind him up” / Video
Hinter Villa & Gant verbergen sich zwei Produzenten, die u.a. Mario Lopez und Whigfield mitproduziert haben. Und was denkt sich ein relativ erfolgloser Dance-Produzent heutzutage? Lass uns irgendwas machen, das wie Eric Prydz klingt, dann schaffen wir vielleicht auch wieder einen Hit. Platz 94 dürfte aber leider für einen richtigen Hit nicht reichen. Das “vs. Saga” lässt es schon vermuten. Die beiden Herren haben den Saga-80er-Rockpop-Klassiker “wind him up” von Anfang der 80er verwurstet. Nun muss ich zugeben, dass ich mit diesem theatralischen, pompösen 80er-Poprock à la Supertramp oder eben auch Saga durchaus etwas anfangen kann. Und so finde ich auch diese modernisierte Fassung des Klassikers gar nicht sooo schlecht. Ab und zu passen die Beats nicht wirklich zum Saga-Song, letztlich klingt es sehr nach Dorfdisco, aber so what? Ein netter Dance-Track ist es allemal. 5 von 10 Punkten.
92: Mia Aegerter – “alive” / Video
Noch eine der Teilnehmerinnen des Eurovision-Song-Contest-Vorentscheids. Einer der wenigen gerade noch ertragbaren. Eine Schweizerin, die wahrscheinlich angepisst war, dass ihr Land die Estinnen Vanilla Ninja eingekauft hat, um endlich mal wieder ein paar Punkte zu bekommen, hat es einfach in Deutschland versucht. Der Song von Mia Aegerter klingt ein bisschen nach Jeanette Biedermann, ein bisschen nach Avril Lavigne. Kein Wunder, dass sie damit beim ARD-Publikum durchgefallen ist. 2 von 10 Punkten.
91: Porcupine Tree – “lazarus” / Video nicht verfügbar
Huch. Hat Robbie Williams was Neues aufgenommen? Die ersten Takte dieses Songs klingen zumindest sehr danach. Aber natürlich ist es nicht Robbie, sondern eine Band namens Porcupine Tree. Ich hab nie zuvor von denen gehört, habe auch überhaupt keine Ahnung, wie die in die Charts gekommen sind, wo der Song bekanntgemacht wurde. Eine kurze Recherche hat ergeben, dass es die Band schon seit 13 Jahren gibt, sie aus den USA stammt und eigentlich harten progressiven Rock spielt. “lazarus” ist allerdings eine, anscheinend für die Band völlig untypische, Ballade. Eingängiger, seichter Pop, in dem auch ein paar Klänge von Sigur Ros verwurstet wurden. Gibt schlimmeres. 5 von 10 Punkten.
87: Nicole Süßmilch & Marco Matias – “a miracle of love” / Video nicht verfügbar
Der zweitplatzierte Song vom Eurovision-Song-Contest-Vorentscheid. Ralph Siegel hat sich die Sechstplatzierte von “Deutschland sucht den Superstar” und den Zweitplatzierten des völlig gefloppten ZDF-Pendants “Die deutsche Stimme” geschnappt und sie eine seiner typischen Schmalzballaden singen lassen. Ein gewisses sangliches Talent kann man den beiden nicht absprechen, aber der Song ist so dermaßen grauenhaft, dass einem ganz übel wird. Wann wird Ralph Siegel endlich kapieren, dass sein ewig recycelter Schmalz nicht mehr gebraucht wird. Reicht ein miserabler Platz 87, damit er es merkt? 1 von 10 Punkten
86: Jürgen Drews – “der arme idiot/flying through the air” / Video nicht verfügbar
Und dann auch noch so eine Scheiße. Der anscheinend überaus peinliche Münchner Radisoender Radio NRJ hat in seiner Morningshow Jürgen Drews gedisst, seinen Song “wieder alles im griff” in “ich bin ein armer idiot” umgetextet. Drews hat das wohl erst verbieten lassen, dann aber ein paar schnelle Euros gewittert und zusammen mit den NRJ-Moderator Bene Gutjan das Stück auf Platte gebannt. Ganz ganz schlimm. 0 von 10 Punkten.
85: Königwerq – “unschlagbar” / Video
Und der vorletzte Eurovision-Song-Contest-Vorentscheid-Teilnehmer für heute. Die Mannheimer Band Königwerq war bei der seltsamen Veranstaltung quasi der Einäugige unter den Blinden. Hat den am ehesten erträglichen Song abgeliefert. “unschlgbar” ist ein extrem eingäniger, aber sehr harmloser Deutsch-Pop-Song, der mit bekannteren Bands wie Wir sind Helden, Juli oder Silbermond nicht so ganz mithalten kann. Auch weil die Sängerin ziemlich langweilig klingt. 4 von 10 Punkten.
84: Bell Book + Candle – “universe” / Video
Ein paar Zombies der deutschen Popgeschichte. Einfach nicht tozukriegen. 1997 hatten Bell Book + Candle einen schlimmen Hit mit “rescue me”. Bis auf Platz 3 kletterte der Song damals, war 32 Wochen lang in den Charts. Seitdem versuchen sie extrem erfolglos, diesen Hit zu wiederholen. “universe” ist das erste Charts-Lebenszeichen seit 2001. Ein völlig typischer und unüberraschender Popsong mit der bekannten, sich gerne mal à la Cranberries überschlagenden Stimme. Ordentlicher, leicht ohrwurmiger Schlager-Pop. 3 von 10 Punkten.
83: Maroon 5 – “sunday morning” / Video
Maroon 5 gehören für mich zu den überschätzesten Bands der Gegenwart. Warum die Band inzwischen 5 Mio. Platten verkauft hat, will mir nicht einleuchten. Es gibt doch so viele bessere Gitarrenbands auf dieser Welt. Mit “sunday morning” liefern sie ein weiteres ihrer weichgespülten Liedchen ab, die inzwischen vierte Auskopplung. Der selbe leicht funkige Sonntagsmorgenpop der schon auf den anderen Singles zu hören war. Insofern passt hier wenigstens der Titel des Stücks. 3 von 10 Punkten.
79: Villaine – “adrenalin” / Video
Tja, hat die lesbische Kandidatin des Eurovision-Song-Contest-Vorentscheids also die mit Ausnahme von Gracia höchste Charts-Platzierung geschafft. Leider gehörte Villaine auch zum peinlichsten, was der Abend zu bieten hatte. Wer sich Texte wie “im treibsand ihrer arme werd’ ich ertrinken. dieses beben in mir lässt die skyline verschwinden. was heißt schon treue, wenn jeder kuss von dir ist wie adrenalin” ausdenkt, gehört eigentlich gehauen. Die Musik ist Schlagerpop à la Rosenstolz und wird sicher dadurch auch den einen oder anderen Käufer gefunden haben. 1 von 10 Punkten.
76: Mario Lopez – “sanity/angel eyes” / Video nicht verfügbar
Na endlich mal wieder ein Dorfdisco-Trance-Stück. Irgendwie ist die Zeit solcher Musik vorbei. Für Mario Lopez ist “angel eyes” der zehnte Top-100-Hit, allerdings hat es keine der Singles in die Top 50 geschafft und so wird es wohl auch bleiben. Der Song ist beim ersten Hören durchaus ohrwurmig, allerdings wird dieser Eindruck durch die sich immer wiederholende Melodie ohne neue Ideen und das ewige “nananana” schnell wieder zerstört. 3 von 10 Punkten.
74: Boppin’B – “we can leave the world” / Video nicht verfügbar
Allmählich reicht es aber mit diesem nervigen Rockabilly-Zeug, dass Sasha alias Dick Brave in die Charts-Welt gesetzt hat. Boppin’B waren seine Vorband auf Tour, jetzt wo Brave aufgehört hat, haben sie eine Platte mit Sasha-Coverversionen aufgenommen und schöpfen damit den Rest der Rockabilly-Kohle vom Markt ab. “we can leave the world” war in der Sasha-Version 1999 in den Top Ten. Wäre es dabei doch bloß geblieben. 1 von 10 Punkten.
73: Lasgo – “all night long” / Video
Irgendwie erinnert mich diese Frau an Whigfield. Keine Ahnung, warum. Lasgo kommen aus Belgien, machen Elektro-Dance-Musik, die ausgesprochen Klingelton-kompatibel ist. “all night long” nervt verdammt schnell. Die Hintergrundmelodie wiederholt sich tausendfach. Dazu kommt ein wie so oft im Dance-Segment überaus intelligenter Text. “i wanna make love with you all night”. Und außerdem wirkt das Stück zu sehr aus verschiedenen Stilen und Bruchstücken zusammengesetzt. Nicht gut. 2 von 10 Punkten.
69: Erasure – “don’t say you love me” / Video
Puh ist das schlecht. Erasure zeigen erneut, dass sie sich mindestens vor 10 Jahren hätten auflösen müssen. “don’t say you love me” klingt wie eingeschlafene Füße. Gefühlte 2 Beats per Minute. Der übliche Kitsch-Text und austauschbare Elektropomusik. Die Zeit der Herren Clarke und Bell ist eindeutig vorbei. 2 von 10 Punkten.
66: Phantom Planet – “california” / Video
“california” stammt aus dem Jahr 2002. Richtig bekannt wurde der Song als Titelmelodie der Serie “The O.C.”, die seit einiger Zeit als “O.C., California” bei ProSieben läuft. Daher ist er in Deutschland nun also auch als Single erschienen, obwohl die Band seit der “california”-Aufnahme schon massenhaft neue Musik inklusive eines weiteren Albums veröffentlicht hat. Als ich das Stück damals zum ersten Mal hörte, war ich völlig begeistert, hörte es wochenlang mehrmals pro Tag. Der perfekte Sommer-Soundtrack. Natürlich ist der Song für Phantom-Planet-Verhältnisse ausgesprochen poppig und angesichts der Süße sicher nicht jedermanns Sache. Von mir gibt’s aber glasklare 9 von 10 Punkten.
65: Paul Cless feat. Brixx – “suavemente” / Video nicht verfügbar
Wer wissen will, wo sich Scooter bedient haben, hört sich das hier an. Die Paul-Cless-Version von “suavemente” ist zwar auch nicht das Original – das stammt von Elvis Crespo – kommt ihm aber wesentlich näher. Im Gegensatz zu Scooter hat der Hamburger Cless die Latino-Ryhtmen weitgehend unberührt gelassen, singt den Text bloß ein bisschen drüber und lässt die Rapperin Brixx ein bisschen reimen. Diese Version von “suavemente” ist viel viel hörbarer als der Scooter-Müll und versprüht passend zum Frühlings-Start schonmal ordentlich Sommer-Stimmung. 4 von 10 Punkten.
35: Vinylshakerz – “one night in bangkok” / Video nicht verfügbar
Eine weitere Folge in der Reihe “Verbrechen an der Musik-Historie”. Ein paar Techno-Prolls nehmen sich einen der größten Hits der 80er, Murray Heads “one night in bangkok”, und zerstören ihn mit dumpfen Beats und schlimmen Vocals komplett. Würde es die Klingelton-Industire nicht geben, müssten wir sicher auch nur die Hälfte dieser peinlichen Coverversionen ertragen. 1 von 10 Punkten.
33: Franzi – “ich würd’s immer wieder tun” / Video nicht verfügbar
Unvermeidlich, Teil 2. Nachdem “Big Brother”-Gewinner Sascha schon ins Studio gezerrt wurde, folgte die zweitplatzierte Franzi kurze Zeit später. Das schlimme Lied hat alle Zugaben, die drittklassige Produzenten auf einem Grabbeltisch finden: Am Beginn eine Prise Nu-Pagadi-Pseudo-Gothic, dazu ein paar Gramm Rosenstolz-Stimmung und eine Klingelton-kompatible Melodie. Letztlich ist “ich würd’s immer wieder tun” aber nichts Anderes als ein deutscher Schlager, der in den 80ern auch von Leuten wie Mary Roos oder Roland Kaiser hätte stammen können. 1 von 10 Punkten.
12: Ciara feat. Missy Elliott – “1, 2 step” / Video
Ãœberraschung! Gleich zwei US-Hip-Hop-New-Entries die mir gefallen! Zunächst “1, 2 step” von Ciara feat. Missy Elliott. Die 19-jährige Ciara ist drüben der große Newcomer-Star, war mit ihrer Debüt-Single “goodies” lange auf 1 der Charts. Auf ihrem Album tauchen Leute wie Ludacris und R. Kelly auf und bei ihrer zweiten Single “1, 2 step” wird sie von Missy Elliott unterstützt. Ciara singt, Missy rappt und dazu gibt’s passende, dumpfe Beats. Zwar kein Meisterwerk, aber für Hip-Hop-Verhältnisse ausgesprochen gelungen. 5 von 10 Punkten.
4: 50 Cent – “candy shop” / Video
Und direkt danach – und passender hätte es nicht laufen können – folgt die neue 50-Cent-Single “candy shop”. Musikalisch ein perfekter Ãœbergang. In den USA seit Wochen auf 1 hat er es in Deutschland immerhin auf 4 geschafft. Der zweite Nummer-1-Hit nach “in da club” bleibt ihm aber auch mit Single Nummer 5 verwährt. “candy shop” ist ein absoluter Ohrwurm im typischen 50-Cent-Stil. Vorwerfen kann man dem Stück allenfalls, dass es etwas sehr monton ist. Trotzdem: 6 von 10 Punkten.
Die Top 5 vom 28. März 2005:
1 (2) Nena – “liebe ist”
2 (1) Sarah Connor – “from zero to hero”
3 (3) Fettes Brot – “emanuela”
4 (-) 50 Cent – “candy shop”
5 (4) Schnappi – “schnappi, das kleine krokodil”
Ebenfalls erschienen, aber gefloppt:
– Athlete – “wires
– Beck – “e-pro”
– Millencollin – “ray”
– Ruslana – “dancing with the wolves”