Archive for May, 2012

gedanken zum relegations-abend in düsseldorf. 27

Das Thema dreht sich in meinem Kopf schon den ganzen Tag lang, also muss ich meine Gedanken jetzt mal rauslassen. Ich war am Dienstagabend beim Bundesliga-Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC. Die Berichterstattung in vielen Medien ist mir heute so negativ aufgefallen, dass ich einfach mal meine Sicht der Dinge schildern muss. Um das vorweg zu sagen: Es ist die Sicht eines FC-Bayern-Mitglieds mit großen Sympathien für Fortuna Düsseldorf.

Was in mir heute starkes Kopfschütteln ausgelöst hat, ist die Skandalisierung des Geschehens, das Aufputschen, das Angstmachen. Die Rede war von “Fußball-Schande”, immer wieder von “Ausschreitungen” und “Randale”. Wo auch immer die Schreiber das gesehen haben wollen, in Düsseldorf kann es nicht gewesen sein. Um eins klar zu sagen: Ich verabscheue Bengalos und Pyrotechnik in Stadien. Ich möchte in ein paar Jahren, wenn mein kleiner Sohn alt genug ist, mit ihm zum Fußball gehen, ohne Angst zu haben, dass wir von Böllern oder Raketen getroffen werden (wie beispielsweise Fans beim Spiel zwischen Rostock und St. Pauli 2011).

Am Dienstagabend wurde in beiden Fanblöcken Pyrotechnik benutzt, die Hertha-Fans haben dabei Böller und Pyros auf den Rasen geschmissen, dabei sicher auch Verletzungen von Ordnern in Kauf genommen. Mir ist es immer wieder ein Rätsel, wie dieser Sprengstoff mit in Stadien gebracht werden kann, wenn doch jeder kleine Junge beim Einlass abgetastet wird und ich sogar schon erlebt habe, dass ein Fahrradhelm (!) nicht mit ins Stadion genommen werden darf.

Das, über das ich viele heute aber aufregen – und der Grund dafür, dass es nun womöglich ein Wiederholungsspiel geben wird, war eine völlig andere Situation, die nichts mit der Ultra-Szene oder “Chaoten” zu tun hat – es hat sich zudem komplett anders zugetragen, als an vielen Stellen berichtet. Das Stürmen des Platzes von Hunderten Fortuna-Fans war keine Aggression, keine Randale, keine Gewalt, es war einfach nur Dummheit. Mehrere Minuten vor Ende des Spiels postierten sich viele Fans schon an der Seite des Spielfelds, warteten allerdings recht brav hinter den Werbebanden. Offenbar im irrigen Glauben, der Schiedsrichter habe das Spiel abgepfiffen, rannten sie zu Hunderten auf den Platz und lieferten Hertha BSC damit die Vorlage für den Protest.

Das, was ich sah, waren tanzende, jubelnde Fans, viele Pubertierende, sogar kleine Jungs. Niemand, der den Platz gestürmt hatte, war gewaltbereit, die Polizei berichtet heute in einer Pressemitteilung: “So kam es weder vor, während noch nach dem Spiel zu gravierenden körperlichen Auseinandersetzungen oder Gewalt.” Wenn also gewaltbereite Chaoten den Platz gestürmt haben sollen, warum kam es dann nicht zu Gewalt? Und warum verließen sie nach ein paar Minuten wieder freiwillig den Platz und entschuldigten sich unterwürfig bei Fortuna-Spielern, die sie vom Platz scheuchten? Offenbar gab es ja sogar unter den Hertha-Spielern mehr Gewaltbereitschaft als bei den Hunderten Fans auf dem Platz – oder wie anders ist der berichtete Schlag eines Spielers auf den Schiedsrichter sonst zu erklären?

Natürlich habe ich mich extrem geärgert, als die Fans zu früh den Platz stürmten – denn ich habe genau in dieser Sekunde gewusst, dass es zu einer Entscheidung am grünen Tisch kommen würde und die Dummköpfe nicht nur die tolle Saison der Mannschaft gefährden, sondern auch den Fans und einer gesamten nach Erstligafußball hungernden Stadt die Feierlaune versauen. Und nicht nur ich habe mich geärgert: Um mich herum haben Tausende Menschen den Fans auf dem Spielfeld “Und Ihr wollt Fortunen sein?” entgegen geschrien. Und als die Hertha-Spieler später wieder auf den Platz kamen, spendeten ebenfalls Tausende Fortuna-Fans ihnen Beifall.

Dass Hertha BSC nun tatsächlich Protest eingelegt hat, ist sicher legitim, als Fan der Mannschaft würde ich mich allerdings in Grund und Boden schämen, wenn Hertha in einem eventuellen Wiederholungsspiel nun doch noch den Klassenerhalt schaffen sollte. Man hatte 34 plus 2 Spiele Zeit und hat es auf sportlichem Wege nicht geschafft.

Was mich ärgert, ist auch die Art, wie sogar ARD und ZDF auf den Skandalisierungs-Zug aufspringen und Sondersendungen ins Programm nehmen – und das, obwohl auf tagesschau.de so kluge Kommentare wie dieser hier erscheinen. Von Medien wie Bild.de habe ich nichts anderes erwartet, als eine schreiende Zeilen wie “Fußball-Schande”, bei seriösen Medien hätte man den Ball allerdings flach halten müssen. Bei manchem Bericht habe ich ohnehin die Vermutung, dass dort jemand anhand von Fernsehbildern geschrieben hat und nicht als Zeuge im Stadion. Ich selbst habe noch keine ausführlichen TV-Bilder gesehen, wurde aber von mehreren Leuten angesprochen, ob ich bis zum Schluss da gewesen sein, Angst gehabt habe oder mir etwas passiert sei. Offenbar war der Eindruck vor den Fernsehen also ein komplett anderer als der im Stadion. Dass von Hertha-BSC-Seite Worte wie “Todesangst” fallen, empfinde ich als peinlich und als strategisch.

Nochmal zur Klarstellung: Auf Seite von Fortuna Düsseldorf wurden große Fehler gemacht. Vor allem die Sicherheitskontrollen waren offenbar so mies, dass kiloweise Pyrotechnik ins Stadion gebracht werden konnte. Daraus muss der Verein und muss das beauftragte Sicherheits-Unternehmen Konsequenzen ziehen. Einen Sturm des Spielfeldes, wie er (wenn auch meist erst nach dem tatsächlichen Abpfiff) am Saisonende auf Hunderten Plätzen des Landes vorkommt, kann man wohl nicht verhindern. Es sei denn, man möchte jedem Zuschauer einen persönlichen Ordner zur Seite stellen oder wieder hohe Zäune errichten.

Das frühzeitige Stürmen am Dienstagabend hätte man aber womöglich doch verhindern können. In meinem Umfeld fragten sich viele Fans (auch ich): Was? Nur eine Minute Nachspielzeit? Die “7” war also bei entsprechender Entfernung oder schlechtem Winkel nicht für jeden von einer “1” unterscheidbar. Warum also blendet man die Nachspielzeit nicht groß auf der Anzeigetafel ein oder sagt sie laut per Stadionsprecher durch? Was noch dazu kommt ist eine Tatsache, die mich in der Düsseldorfer Arena schon des Öfteren genervt hat: Die Spielzeit bleibt auf den Anzeigetafeln ganz einfach bei 90:00 stehen. Schaut man nicht genau in diesem Moment auf die Uhr, verliert man nach einiger Zeit notgedrungen das Gefühl dafür, wie lang noch zu spielen ist. Hätte man also auf der Anzeigetafel anzeigt, wie viele Minuten der 7 schon gespielt wurden, vielleicht hätte man den frühzeitigen Platzsturm verhindern können.

Zusammenfassend: Ein paar Idioten haben am Dienstagabend mit Bengalos und Böllern genervt und vielleicht auch für Gefahr gesorgt. Am Ende des Spiels haben Hunderte harmlose Dummköpfe, die nur feiern wollten, dafür gesorgt, dass Hertha BSC nun Protest einlegen konnte. Die Medien sollten diesen Abend nicht skandalisieren, sie sollten die Szenerie so beschreiben, wie sie war. Und wenn man keinen Journalisten vor Ort hatte, sollte man es vielleicht auch lieber lassen.

chris hülsbeck im interview. 2

Chris Hülsbeck ist vielen, die in den Zeiten des C-64 und/oder Amiga groß geworden sind, ein Begriff. Er ist einer der bekanntesten Game-Soundtrack-Komponisten, von ihm stammt u.a. die Musik zu Klassikern wie “Katakis”, “Giana Sisters” und der “Turrican”-Trilogie. Um eine Edel-Version des “Turrican”-Soundtrack auf den Markt zu bringen, hat er nun die Crowdfunding-Plattform Kickstarter genutzt und schon nach kurzer Zeit rund 100.000 US-Dollar eingesammelt. Für das ZDF-Blog “Hyperland” habe ich das aufgeschrieben und mir die Frage gestellt, ob Hülsbecks Beispiel exemplarisch sein kann. Hülsbeck kommt auch selbst zu Wort, doch für das komplette Interview, das ich mit ihm per Mail geführt habe, war kein Platz. Damit es nicht verloren geht, veröffentliche ich es nun an dieser Stelle:

Als ich ein paar Tage nach Start von Deinem Kickstarter-Projekt erfuhr, war mein Gedanke: Wow, 75.000 Dollar – ein ambitioniertes Ziel. Wie sahen Deine Erwartungen aus? Hast Du daran geglaubt, dass die 75.000 Dollar schon nach so kurzer Zeit erreicht werden können?

Hülsbeck: Das Ziel war ambitioniert, weil ich wirklich gerne ein ganz besonderes Multi-CD-Album erstellen wollte. Hätte ich niedriger angesetzt, dann wäre vielleicht am Ende das Budget fuer die 3-4 CDs nicht möglich gewesen, weil den Fans das Ziel eines ganz besonderen Produkts gefehlt hätte. Ich habe dabei aber auch einiges riskiert, weil ich mich bei wenig Interesse seitens der Fans ganz schön hätte blamieren können.

Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, die Turrican-Anthology per Crowdfunding zu finanzieren? Hast Du keine Plattenfirma überzeugen können? Oder wolltest Du einfach ausprobieren, ob sowas heute auch ohne Tonträgerindustrie funktioniert?

Hülsbeck: Ich habe meine Alben schon immer selbst produziert, aber heutzutage und bei der Größe des Projekts wäre eine Eigenfinanzierung einfach nicht möglich gewesen. Dann habe ich letztes Jahr erstmals von Crowdfunding erfahren, als ein Bekannter von mir sein eigenes Album über Kickstarter erfolgreich finanziert hatte. Da wusste ich sofort, dass dies eine Moeglichkeit ist und wahrscheinlich auch die einzige für ein solches Projekt.

Hast Du Informationen darüber, woher Deine Spender stammen? Überwiegend aus Deutschland?

Hülsbeck: Ja, man bekommt detailierte Listen und Statistiken und natürlich kommen die meisten meiner Fans aus Deutschland, aber ich hatte auch Unterstützer aus vielen anderen Ländern, wie zum Beispiel sogar aus Saudi-Arabien.

Du hast den Vorteil, dass Du seit alten C-64er-Zeiten Fans hast, die deine Karriere verfolgt haben und auch heute noch deine Musik lieben. Denkst Du, dass solche Crowdfunding-Projekte nur etwas für Künstler mit einer gewissen Fangemeinde sind? Oder ist die Methode auch etwas für Nachwuchs-Acts?

Hülsbeck: Eine Fangemeinde hilft sicher sehr, um eine Kampagne erfolgreich durchzuführen. Aber es gibt auch kleinere Projekte, die durch ein gutes Konzept und überzeugende Beschreibung Interesse bei der Crowdfunding-Community wecken und erfolgreich verlaufen können. Dabei sollten Newcomer halt nicht gleich nach den Sternen greifen und gute, aber im Rahmen des Budgets liegende Goodies bieten.

In Deutschland tobt derzeit ja ein heftiger Streit um das Urheberrecht in Zeiten des Internets. Die einen sagen, das Urheberrecht müsse mindestens so bleiben wie es ist, wenn nicht sogar verschärft werden und alle, die es im Netz brechen, müssen bestraft werden. Die anderen sagen, es müsse abgeschafft, aber mindestens liberalisiert werden, da es nicht mehr zeitgemäß und durchsetzbar ist. Wie ist Deine Meinung aus der Künstler-Perspektive? Verspürst Du negative Gedanken gegenüber Leuten, die deine Musik z.B. bei Youtube hören, anstatt sie auf CD oder als Download zu kaufen?

Hülsbeck: Für mich als Künstler ist das Urheberrecht durchaus wichtig und ein komplexes Thema. Aber es ist im Zeitalter des Internets veraltet und unflexibel und es sollte nicht so angewendet werden, dass Nutzer automatisch kriminalisiert werden. Hier sind neue und zeitgemäße Gesetze und Regeln gefragt, die dem Urheber einen Schutz bieten und dem Konsumenten die Möglichkeit geben, die Medien möglichst uneingeschränkt zu nutzen.

Du hast zwar den Vorteil, dass Du als Games-Soundtrack-Komponist nicht direkt auf Musik-Verkäufe angewiesen bist, dennoch schadet Games-Piraterie letztlich ja auch Dir, wenn Budgets kleiner werden oder Projekte nicht finanziert werden können. Wie ist Deine Einschätzung für die Zukunft der Unterhaltungsbranche: Lassen sich in Zukunft noch dieselben Beträge mit Games, Musik, Filmen verdienen wie bisher? Bietet das Netz vielleicht sogar eher Chancen als Risiken, wenn die Industrie sich auf die Konsumenten einlässt und ihnen bessere Tools und Dienste anbietet?

Hülsbeck: Ich denke, wenn man den Kunden und Fans einen fairen Deal gibt, dann wird auch weniger raubkopiert. Es ist immer noch ein großer Markt und die Verbindung zwischen Entwicklern und den Fans wird immer direkter, so dass nicht mehr soviel vom Gewinn an Distributoren geht. Somit hat das Internet auch völlig neue Möglichkeiten geschaffen, wie Unterhaltung produziert und an die Endkunden geliefert werden kann.

Zurück zu Deinem Projekt: Du hast inzwischen fast 100.000 US-Dollar eingesammelt und es läuft ja noch ein paar Wochen. Was passiert mit der Summe, die über dem Ziel von 75.000 liegt?

Hülsbeck: Das Album wird jetzt schon sicher um eine weitere CD auf insgesamt 4 Scheiben ergänzt, um den Fans noch mehr Musik aus den Spielen bieten zu können. Damit wird das Projekt dann auch praktisch komplett sein. Falls noch viel mehr Budget zusammen kommen sollte, dann habe ich noch ein paar Ideen im Hinterkopf, wie man das Projekt weiter aufwerten könnte. Profit war nicht der Hintergrund für die Aktion, sondern eine sauber durchfinanzierte Produktion, die aber natürlich auch meine Arbeitszeit entlohnt und ermöglicht, das Projekt genau so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle.

Und wie lautet dein Fazit aus der ganzen Aktion? Ist Kickstarter ein Modell, das Du in Zukunft vielleicht auch für weitere Projekte nutzt? Kann es vielleicht sogar ein wichtiges Standbein für dein berufliches Einkommen werden?

Hülsbeck: Ich habe noch ein paar Ideen, was man eventuell in der Art machen könnte, aber im Moment konzentriere ich mich natürlich voll darauf, dieses Projekt so gut wie möglich in dem anvisierten Zeitraum umzusetzen und dann sehen wir weiter. Es war ein grandioses Erlebnis, wie die Fans das Projekt unterstützt haben und ich bin sehr dankbar. Es wäre natürlich klasse, wenn ich nochmal irgendwann die Chance habe so etwas zu machen.