charts (2005-02-28).
Kurz vor den Oscars noch dies: Bis auf die Herren von Deichkind sind nun alle Bundesvision-Song-Contest-Teilnehmer in den Singlecharts vertreten. Und dazu steigt auch Max Mutzke mit seiner neuen Single ein. Soviel zur Machtstellung des Stefan Raab in der deutschen Musikindustrie. Kommen wir zu den (ungewöhnlich Gitarren-lastigen) New Entries der deutschen Singlecharts vom 28. Februar 2005:
88: Channing – “bootsy bootsy boom”
“bootsy bootsy boom. it’s a bootsy bootsy boom”. Wow. Ein neuer Tiefpunkt in Sachen Songtext-Entwicklung. Channing ist eine Frau, deren sängerisches Talent eher minderbemittelt ist und die vom Produzenten des Eine-Handvoll-Hits-Wonders Whigfield entdeckt wurde. Wäre jetzt Sommer, würde dieser “bootsy bootsy boom”-Schmarrn wohl überall gespielt werden. Aber wir haben ja zum Glück erst die Aprés-Ski-Scheiß-Musik-Saison. So bleibt’s eben bei Platz 88. 0 von 10 Punkten.
79: Max Mutzke – “spür dein licht”
Der Stern des Max Mutzke sinkt. So viel dürfte klar sein, jetzt wo seine dritte Single nur noch auf Platz 79 einsteigt. “can’t wait until tonight” schaffte damals Platz 1, “schwarz auf weiß” noch Rang 18. Ob es für “spür dein licht” doch noch zu Ähnlichem reicht, darf bezweifelt werden. Und das, obwohl der Song weitaus besser ist, als die Vorgänger-Single “schwarz auf weiß”. Retro-Soul, dessen Beats beinahe wie in den 70ern klingen. Dazu eine wirklich nette Melodie und Mutzkes Stimm-Talent. 5 von 10 Punkten.
78: R.E.M. – “aftermath”
Die neue R.E.M.-Single. Passend zur Deutschland-Tour direkt in die Charts. “aftermath” klingt bekannt, bietet die übliche R.E.M.-Musik, weitgehend ohne neue Ideen. Der Song klingt etwas zu schleimig, um an R.E.M.-Klassiker vergangener Tage anknüpfen zu können. Dennoch ist es natürlich begrüßenswert, R.E.M. in den Charts zu finden. Und nicht nur DJ Ötzi und Lukas Hilbert. Für “aftermath” gibt es 6 von 10 Punkten.
77: Paradise Lost – “forever after”
Paradise Lost dürfte die Band sein, die es ihren Fans am schwersten von allen Musikern dieser Welt gemacht hat. Angefangen als Death-Metal-Band, dann weiterentwickelt zur Gothic-Metal-Band und plötzlich zum Elektro-Depeche-Mode-Klon gewandelt. Die treue Fangemeinde blieb dennoch. Und verhalf Paradise Lost zu einigen Singlecharts-Platzierungen. Da mir Extrem-Metal-Ergüsse nie wirklich zugesagt haben, kenne ich die Musik der Band eigentlich erst seit der Elektro-Phase. Seit einiger Zeit orientieren sie sich wieder in die härtere Richtung. Fügen ihren Melodien wieder mehr krachende Gitarren und Drums hinzu. Die netten Melodien sind geblieben. Zwar klingt die Musik von Paradise Lost weitgehend etwas altbacken, aber hörbar ist sie allemal. Für “forever after” gibt’s daher 5 von 10 Punkten.
74: Liquido – “ordinary life”
Apropos altbacken. Liquido. Erinnert sich noch jemand an die? An den Smash-Hit “narcotic”, der 1998/99 unglaubliche 30 Wochen lang in den Charts war und Platz 3 erreichte? Danach kam nicht mehr viel. Seit dem Juni 2000 gar nichts mehr. Jetzt sind sie wieder da. Und schaffen mit ihrem austauschbaren Orgel-Rock immerhin Platz 74. Ohrwurm-Potenzial hat der Song – das aber nur weil die Titelzeile “it’s an ordinary life” in ungefähr 2 Minuten ganze 13 mal gesungen wird. Sehr nervig, das. 3 von 10 Punkten.
69: Slut – “why pourquoi? (i think I like you)”
Und weiter geht’s mit der Gitarren-Offensive in den deutschen Charts. Sind die Kids zur Vernunft gekommen und finden zurück zur Gitarrenmusik? Die Zukunft wird’s zeigen. Slut verdanken ihre allererste Singlecharts-Platzierung jedenfalls Stefan Raab. Verdient haben sie es aber allemal, schließlich gehören sie seit Jahren zu den besten deutschen Bands. “why pourquoi” ist schon im vergangenen Jahr erschienen, fiel mir auf dem relativ unspektakulären Album aber nicht weiter auf. Für den Bundesvision Song Contest haben sie den Song noch einmal neu aufgenommen, ein paar von einem lustigen Kinderchor gesungene deutsche Zeilen hinzugefügt und dem Lied damit vielleicht das gegeben, was es gebraucht hat. Den Hinhör-Faktor. 8 von 10 Punkten.
62: Lisa Stansfield – “treat me like a woman”
Wo kommt die denn her? Lisa Stansfield hatte zwischen 1989 und 1997 ganze 13 Top-100-Hits. Ihr größter Hit hieß “all around the world” und schaffte es bis auf Platz 2. Seit 1997 kam aber gar nichts mehr von ihr. Und nun ein neuer Hit. Ihr Album hat sie von Produzentenlegende Trevor Horn produzieren lassen, der u.a. für Megahits von Frankie goes to Hollywood über Spandau Ballet bis zu den Pet Shop Boys verantwortlich war. Mit “treat me like a woman” haben die beiden zwar die Musik nicht neu erfunden, aber für einen überraschend hörbaren Popsong gesorgt, in dem Lisa Stansfield dem Gören-Nachwuchs nochmal zeigt, wie es gemacht wird. 4 von 10 Punkten.
57: Alter Ego – “rocker”
“rocker” ist für die meisten ein alter Hut. Der Song stammt aus dem Jahr 2004, fand sich zum Jahreswechsel schon in zahlreichen Best-of-Listen deutscher Musikkritiker. Nun ist er irgendwie nochmal auf Maxi-CD veröffentlicht worden und schafft prompt den Sprung in die Charts. Hinter dem Pseudonym Alter Ego verbergen sich zwei Herren namens Jörn Elling Wuttke und Roman Flügel, die sich in ihrer jahrelangen Schaffenszeit einen großen Namen in der Elektroszene gemacht haben. “rocker” ist ein Club-Knaller, der mich ab und zu an Mr. Oizo erinnert (was ist eigentlich aus Flat Eric geworden?), aber genügend Potenzial hat, um einfach nicht mehr aus dem Ohr zu verschwinden, wenn er erstmal drin ist. 6 von 10 Punkten.
51: Deine Lakaien – “over and done”
Noch eine Band mit sehr treuer Fangemeinde. Ich hatte auch mal eine Phase, in der ich Musik von Wolfsheim, Deine Lakaien und vielen anderen verschlungen und geliebt habe. In den vergangenen Jahren sind Deine Lakaien aber ein wenig von meinem Schirm verschwunden. Das letzte Studio-Album liegt auch schon über drei Jahre zurück. Nun sind sie aber wieder da. Und wie. “over and done”, die erste Single aus dem kommenden Album “April skies” ist zwar ein typischer Deine-Lakaien-Song mit dem unverwechselbaren Gesang von Alexander veljanov, den man liebt oder hasst, aber ein verdammt guter. Ein relativ schnelles, treibendes Stück mit einer absoluten Killer-Melodie. Dazu Ernst Horns Synthesizer-Frickeleien und am Ende des Stücks (für die Band ungewohnt) eine weibliche Gesangsstimme. Großartige Musik. 8 von 10 Punkten.
45: Kettcar – “48 stunden”
Ãœber meine relativ negativen Kettcar-Konzert-Erfahrungen berichtete ich bereits. Dennoch werde ich mir die Musik von solchen Erlebnissen nicht vermiesen lassen. Kettcar haben sich zwar im Vergleich zur vergangenen Platte kaum weiterentwickelt, aber das muss ja auch nicht, schließlich war die Platte großartig. Dass “48 stunden” sogar in die Single-Charts einsteigt (übrigens der erste Top-100-Hit vom Grand Hotel Van Cleef), ist ein weiteres Indiz für den Hype der da gerade läuft. Ausverkaufte Shows, Titelstory in “Visions”, 2-Seiten-Geschichte im Branchenblatt “Musikwoche”, etc. “48 stunden” bietet solide Kost, die Kettcar-Fans lieben werden. 7 von 10 Punkten.
35: Annett Louisan – “das gefühl”
Oh, eine neue Single der “Schnappi”-Sängerin? Ach nee, ist ja der andere Kinderliederstar. Annett Louisan mit ihrer Kindergarten-Stimme. Wenn man sich nicht so wirklich mit dem Gesamtwerk der Dame beschäftigt hat, so wie ich, dem die erste Single schon extrem auf den Sack gegangen ist, merkt man auch gar nicht, dass es sich um eine neue Single handelt. Der Song klingt so dermaßen nach dem ersten Stück, dass man verwirrt zurückbleibt. Das Schlimme an Annett Louisan ist gar nicht mal die Musik, die durchaus hörbar wäre. Wenn, ja wenn, nicht diese Fistelstimme und die miesen Texte alles versauen würden. 2 von 10 Punkten.
27: Westernhagen – “eins”
Belanglosigkeit hat einen Namen. Westernhagen. Der Rockstar der neuen Mitte. Für alle die, denen Pur ein Tick zu uncool sind, und die immer noch denken, das, was der alte Mann da macht, sei credibile Rockmusik. Ist es aber gar nicht. Sondern schlimme Schlagermusik. Somit ist Herr Müller wohl einer der wenigen Schlagersänger, der Stadien füllen kann. 1 von 10 Punkten.
23: Apocalyptica / Marta Jandová – “wie weit”
Noch ein Bundesvision-Chart-Hit. Ich mag Apocalyptica nicht. Ab und zu gelingt es den finnischen Herren aber, mich ein wenig zu begeistern. Sie holen sich Leute aus dem Rock/Gothic-Bereich ins Studio, die ihre Musik mit Gesang veredeln. Trotz meiner Vorurteile gefällt mir “wie weit” durchaus. Cello-Metal mit netter Melodie und Jandovás deutschem Gesang, der ausnahmsweise auch mal einen osteuropäischen Akzent charmant klingen lässt. 6 von 10 Punkten.
18: Britney Spears – “do somethin'”
Wollte Frau Spears nicht aufhören? Und warum schwappen dann doch noch immer neue Singles in die Charts? Im Vergleich zu ihren letzten Werken, unter denen sich doch ab und zu eine kleine Perle befunden hat, ist “do somethin'” ein klarer Rückschritt. Zwar kann die Musik sogar ein wenig mit ihren treibenden Elektro-Beats überzeugen, aber Spears’ nerviger Gesang versaut alles. Insgesamt überflüssiger, überproduzierter Kleine-Mädchen-Pop. 2 von 10 Punkten.
7: Jennifer Lopez – “get right”
Noch so ein “Megastar” zurück in den Charts. Meiner Meinung nach hätte Frau Lopez Schauspielerin bleiben sollen und niemals mit dem Singen anfangen sollen. Ich bin nämlich immer noch der Meinung, dass sie in “Out of Sight” und “The Cell” verdammt gut war (wenn auch danach nichts mehr kam). “get right” jedenfalls gehört definitiv zu den nervigsten Stücken des laufenden Jahres. Das beginnt bei dem seltsamen Tröten zu Beginn des Stücks, das sich über die gesamten fast 4 Minuten erstreckt und endet bei Lopez’ Gesang, der völlig talentlos klingt und noch dazu ziemlich motivationslos vorgetragen ist. 1 von 10 Punkten.
5: Fettes Brot – “emanuela”
Die klaren Gewinner des Bundesvision Song Contests. Zwar waren sie nicht die Nummer 1, aber der Mitgröhl-Kracher “emanuela” wäre sicher nicht von 0 auf 5 geschossen, wenn es Stefan Raab nicht gäbe. Der Song selbst ist natürlich eigentlich nichts, was man unbedingt in nüchternem Zustand hören möchte. Aber es kommt eben von Fettes Brot und nicht von DJ Ötzi. Und insofern steckt schon mehr Kreativität drin als in 50 Ötzi-Alben zusammen. Und der Clip ist auch lustig. Aber es bleibt letztlich ein Song für Bierzelte. Aus meinen Lautsprechern wird “emanuela” sicher nicht mehr freiwillig erklingen. 4 von 10 Punkten.
3: Yvonne Catterfeld – “glaub an mich”
War ja klar, dass Frau Catterfelds Lied passend zum Ausstieg aus “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” fett in die Charts einsteigen wird. Schließlich haben viele Millionen zugeschaut. Insofern ist es eigentlich überraschend, dass sie nur auf 3 einsteigt und nicht auf 1. Aber da ist ja immer noch das nervigste Krokodil der Welt und hat sich inzwischen Doppel-Platin geschnappt. Zurück zu Frau Catterfeld. Die säuselt irgendwas von “wenn ich geh, dann bitte glaub an mich” und geht damit allen Ãœber-18-Jährigen auf den Geist. Apropos: Was macht eigentlich Alexander Klaws? 1 von 10 Punkten.
Immerhin wurde uns durch das Catterfeld-Lied das bisherige Highlight der Harald-Schmidt-Show beschert, oder? Da kann man ihr den Hit doch ausnahmsweise mal gönnen.
Als – inzwischen – Stammleser, der bisher nie die Comments benutzt hat, möchte hiermit mal Anerkennung aussprechen: für den Blog im Allgemeinen und die Chartskritik im Besonderen. Danke, dass du dir die Mühe machst und dich durch dieses Zeug quälst.
Besonders peinlich ist auch die Selbstbeweihräucherung auf der “Bootsy” homepage…
Die verantwortliche PR Abteilung sollte man eindosen und nach Jakutsk verschicken.
Immerhin sieht Frau Channing besser aus als Tante Knatterfeld. ;-)
[…] Popkultur: Westernhagen, Der Rockstar der neuen Mitte. Der Popkulturjunkie bespricht die Neueinsteiger in die deutschen Singlecharts vom heutigen Montag: Belanglosigkei […]
[…] ) Die "48 Stunden" Singlge ist auf Platz 45 der Charts eingestiegen – via popkulturjunkie. Tjoa. Der Hype kommt und ich glaube es wird noch schlimmer. Beim dritten Al […]
waren slut nicht mal mit ´easy to love´ in den charts?
hätte ich auch gedacht. waren sie aber nicht. bisher waren sie nur mit ihren drei alben in den charts. bei den singles ist “why pourquoi?” tatsächlich die premiere…
alter ego dürften zwar wegen der maxi in den charts gelandet sein, aber doch wohl eher wegen dem eric prydz-remix als “gimmick”.
oder aber wegen dem hohen nackte-haut-faktor im clip…