charts-kritik: 8. juni 2007.
Jetzt hat es schon wieder über eine Woche gedauert, bis ich Euch die Charts-Kritik liefere. Die nächste Ausgabe wird nicht so lang auf sich warten lassen. Versprochen. Hier sind aber erstmal die 15 (!) New Entries der deutschen Singlecharts vom 8. Juni 2007:
85: Warheit – “hölle auf erden”
Fängt ja gut an, diesmal. Wieder ein nerviger Deutsch-Rap-Track mit peinlichem, pseudo-politischem Text (“Fick die Politiker, denn sie tun, was der Teufel sagt”), wenig talentierten Rappern (u.a. Azad) und Billig-Produktion. 1 von 10 Punkten.
78: Master Blaster feat. Rachel Hiew – “walking in memphis / can delight”
Diese Idee, immer wieder 20 Jahre alte Popstücke für Kirmes-Techno-Tracks zu verwursten, stirbt anscheinend nie. Die unvermeidlichen Master Blaster haben sich diesmal “walking in memphis” von Marc Cohn gewählt – damals, 1991, schon nervig, in dieser Großraumdorfdiscoversion aber unfassbar schlecht. In der zweiten Hälfte gibt es dann noch einen anderen, in Deutschland wenig bekannten Track aus dem Jahr 1986, der den Karren auch nicht mehr aus dem Dreck zieht. 1 von 10 Punkten.
75: Evanescence – “sweet sacrifice”
Der Stern von Evanescence scheint langsam unterzugehen. Nur noch Platz 75 für die neueste Single. Völlig zu recht, übrigens, denn diese Nummer ist ein selbstverliebtes überproduziertes Stück Pseudo-Rock, das vom immergleichen monotonen Gesang von Amy Lee lebt – und daher völlig scheitert. Sehr sehr schwach. 2 von 10 Punkten.
64: Marilyn Manson – “heart-shaped glasses”
Apropos untergehen: Auch Marilyn Manson hat nicht mehr so lang, tippe ich. Ich mochte seine Musik einst sehr, war auch auf einem Konzert von ihm und war damals ziemlich begeistert von der Show. Aber mittlerweile nerven mich seine Songs. Nicht weil sie radikal schlechter sind als damals, sondern weil es immer dieselbe Soße ist. Null Weiterentwicklung. Schade eigentlich. 4 von 10 Punkten.
55: R.Kelly feat. T.I. & T-Pain – “i’m a flirt”
Schon imer genervt hat mich hingegen R.Kelly. Dieser neue Song aber besonders. Zusammen mit zwei Who-the-Fucks namens T.I. und T-Pain seiert er vor sich hin, vergisst dabei, an eine eingängige Melodie zu denken und zieht den Song auf viel zu lange 5einhalb Minuten. Langweiliger Kram, das. 2 von 10 Punkten.
53: Alpa Gun – “ausländer”
Es gibt auch besseren Deutsch-Rap. Man glaubt das oft nicht, aber hier gibt es ein Beispiel. Alpa Gun, bisher u.a. als Background-Rapper von Sido unterwegs, rappt aus seinem Leben, das Leben eines Ausländers in Berlin. Der Song ist gut produziert, der Text ist verglichen mit anderem Charts-Rap-Müll nahezu intellektuell, die Musik ist ordentlich, was will man mehr. (Für deutschen Rap rekordverdächtige) 5 von 10 Punkten.
46: Wir 3 – “heyah mama”
Und dann gleich so ein grottiger Scheiß hinterher. Drei junge Frauen, die das Geld anscheinend brauchen, singen ein unsagbar peinliches Kinderlied – powered by Toggo/Super RTL. Grau-en-haft! 0 von 10 Punkten.
42: Schwaben König – “ein stern (der über stuttgart steht)”
Und als wäre es für alle anderen Vereine nicht schon schlimm genug, dass der VfB Stuttgart Meister geworden ist, muss nun auch noch ein schrottiger Song zum Thema in die Charts einsteigen. Ein Typ mit Deppen-Leerzeichen (Schwaben König) singt zum DJ-Ötzi-Müll “ein stern” einen Text, den selbst die VfB-Stuttgart-Fans rot werden lässt, so peinlich, ist er (“seit jahren bin ich fan von dir und ich danke Gott dafür, dass er dich einst gegründet hat…”). Hilfe! 0 von 10 Punkten.
40: Good Charlotte – “the river”
Da tut das Nümmerchen der ehemalig-eher-Punk-und-jetzt-eher-Pop-Jungs von Good Charlotte beinahe schon gut. Es ist zwar kein richtig großer Wurf, aber im Vergleich zu (fast) all dem Müll, den meine Gehörgänge im Laufe dieser Charts-Woche schon ertragen mussten, ein durchaus hörbares Stück Musik. 5 von 10 Punkten.
38: Reamonn – “serpentine”
Oh, eine meiner – ähm – Lieblingsbands – Reamonn hab ich nämlich schon immer gehasst. Dieser fürs Radio komponierte Popkleister, übel. Mit “serpentine” will sich die Band nun wohl als U2-Coverband empfehlen, falls es mit den eigenen Songs nicht mehr so funktioniert. Beim ewigen “ohohoh” meint man, Bono zu hören, auch der Rest des Songs könnte ein (schlechter) U2-Song sein. Langweilig. 2 von 10 Punkten.
28: Max Mutzke – “mein automobil”
Wer bisher nicht wusste, dass Max Mutzke von Stefan Raab produziert wird – nun weiß auch er es. Eindeutigere Raab-Musik gibt es nicht. An jeder Stelle des neuen Mutzke-Songs meint man, er würde gleich “hier kommt die maus” singen – oder “maschendrahtzaun in the morning”. Warum Mutzke, einst erntzunehmender Sänger, nun eine solch bekloppte Richtung einschlägt? Wahrscheinlich, weil der Erfolg verflogen war. Für Platz 28 hat es mit dem blöden “automobil”-Einschlaf-Stück immerhin gelangt. 2 von 10 Punkten.
19: Die Fantastischen Vier – “einfach sein”
Hach, die Fantastischen Vier überraschen mich immer wieder. Eigentlich hatte ich sie in den vergangenen Jahren schon abgeschrieben, aber mit dem Alter werden sie wieder besser. Die Musik der Vier ist zwar keine, die ich zu Hause hören würde, aber man muss der Band lassen, dass sie einen Stil aufgebaut hat, der vollkommen einzigartig ist. Es gibt niemanden, der irgendwie ähnlich klingt. Im Falle von “einfach sein” ist das ein lässiges Sprechgesang-Stück mit Elektronika-Einfluss. Zu aller Ãœberraschung taucht dann auch noch Herbert Grönemeyer im Song auf und singt die immer wiederkehrende Titelzeile. Sehr verquer, aber irgendwie gut. 6 von 10 Punkten.
10: Marquess – “vayamos companeros”
Das hier dürfte der erste große Anwärter auf den Sommerhit 2007 sein. Immerhin ein so ernstzunehmender Anwärter, dass die Band, die beim ProSieben-Label Starwatch veröffentlicht, sogar von RTL eingeladen wird. Musikalisch gesehen wird dem Hörer eine typische 08/15-Spanien-Klischee-Nummer geboten, deren Melodie sicher auch nach 2 Eimern Sangria noch im Kopf bleibt. Gute Voraussetzungen also für einen Sommer in der Top Ten. 3 von 10 Punkten.
05: Bon Jovi – “(you want to) make a memory”
Schau an, 40-jährige Hausfrauen kaufen also auch noch Maxis. Oder wie kommt dieser unfassbar unsägliche Schmalz sonst auf Platz 5. Ich gebe ja zu, dass ich auch zwei Maxi-CDs von Bon Jovi besitze. Aber die sind ungefähr 15-20 Jahre alt. Das, was die Band heute unter Musik versteht, ist etwas für Leute, die Pur hören – oder Roland Kaiser. Mich schüttelt’s, wenn ich da zuhören muss. 1 von 10 Punkten.
01: Rihanna feat. Jay-Z – “umbrella”
Und wer hat da Herrn Medlock und Herrn Ötzi auf Anhieb vom Thron gestoßen? Das Traum-Duo Rihanna und Jay-Z. Ich ertappe mich dabei, den Song auch gar nicht so schlecht zu finden. Zwar ist Jay-Zs Mitwirken eher überflüssig, aber der Song ist letztlich ein ziemlich guter Popsong, an dem es wenig auszusetzen gibt – höchstens den Nervfaktor, der zwischendurch von etwas viel Monotonie (“ella e e e e e”) ausgelöst wird. Aber: Wem dieser Refrain nicht Stunden später noch im Kopf umherschwirrt, sollte mal zum Ohrenarzt gehen. Im Vergleich zu Medlock und Ötzi also eindeutig das kleinere Ãœbel. 5 von 10 Punkte.
Die Top Ten vom 8. Juni 2007:
01 (—) Rihanna feat. Jay-Z – “umbrella”
02 (01) Mark Medlock – “now or never”
03 (02) DJ Ötzi & Nik P. – “ein stern (der…)”
04 (04) Pink – “dear mr. president”
05 (—) Bon Jovi – “(you want to) make a memory”
06 (05) Timbaland/Nelly Furtado & Justin Timberlake – “give it …”
07 (07) Nelly Furtado – “say it right”
08 (03) LaFee – “heul doch”
09 (06) Beyoncé & Shakira – “beautiful liar”
10 (—) Marquess – “vayamos companeros”
Ebenfalls erschienen, aber gefloppt:
– Joana Zimmer – “if it’s too late”
– Simply Red – “stay”
Vorschau:
In der nächsten Ausgabe der Charts-Kritik lesen Sie u.a. Beiträge zu den neuen Singles von Kelly Clarkson, Sido und Daniel Küblböck.
Gute Kritik, Hab mich köstlich amüsiert. Und ausnahmsweise stimm ich (in den wesentlichen Punkten) sogar mit dir überein. Kommt auch nicht oft vor ;)
Zu Platz 10: Momentan laufen bei RTL Spots zum “RTL-Albumhighlight Marquess”. Erstaunlich. Und als nächstes kommt dann wahrscheinlich der “RTL-Webtipp MyVideo.de”…