Breaking news: Charlotte Roche kriegt endlich einen Grimme-Preis! Für die Moderation von “Fast Forward”.

Hier die etwas strange Begründung der Jury:

So jung ist der Pop gar nicht. Und so frech, subversiv und ironisch erst recht nicht. So jung wie die Moderatorin ist die populäre Kultur nicht, die in ihrer primären, musikalischen Gestalt bei “Fast Forward” über den Sender geht. Es ist viel geklaut, kopiert, ererbt in jedem Videoclip, und das kann auch nicht anders sein. Die Durchbrechung der Hörgewohnheiten im Dreiminutentakt wäre im Kopf nicht auszuhalten. Trotzdem muß die Zeremonienmeisterin eines Popmusikdurchlaufs allen Wiederholungen etwas Neues abgewinnen.

Und wie gelingt Charlotte Roche das? Sie fügt es aus eigenem Munde hinzu. Hätten im Mittelalter die Nonnen die Kirchenväter kommentieren dürfen, wäre dabei vielleicht etwas herausgekommen wie die glossa continua der laufenden Musikbilder, zu der Charlotte Roches Ansagen sich summieren.

Ungetüme des Wortwitzes purzeln ihr bisweilen von der Zunge, phantastische Sprachkreaturen, die an die Drachen denken lassen, zu denen sich unter der Hand der mönchischen Abschreiber die Großbuchstaben der heiligen Schriften auswuchsen. Und doch ist an Charlotte Roches Randbemerkungen zuerst die Textnähe zu loben.

Sie greift aus den vorüberflimmernden Filmchen beiläufige Details heraus, die blitzhaft das Künstliche der ganzen Popwelt beleuchten und damit zugleich ihr Wundersames erhellen. Wie kann das angehen, daß Millionäre nie ihren schäbigen Probenraum gegen ein sauberes Studio eintauschen? Im Pop mag kein Ding unmöglich sein, aber man wird ja wohl noch einmal nachfragen dürfen und ist es seinen Schöpfern, die sich bei ihrer Schöpfung doch etwas gedacht haben müssen, geradezu schuldig – auch wenn es in der Natur des monologischen Formats von “Fast Forward” liegt, daß Charlotte Roche nie eine Antwort bekommen wird. Mit ihrer kindlichen Freude an der Wiedervorlage der uralten Popwelträtsel spricht sie Zuschauern aus der Seele, die wissen, daß ihnen in der Heilsökonomie die Rolle des Schäfchens, die Funktion des Konsumenten, zugemessen ist, und die gleichwohl nicht für dumm verkauft werden wollen.

Bei dieser ihrer listigen Naivität handelt es sich nun nicht um eine Pose selbstherrlicher Distanz, wie sie in jüngst vergangener Zeit in der Ästhetik jenseits der Musik als Leitbild der Popkultur gepflegt wurde. Charlotte Roche betet nichts nach.

Betet sie auch niemanden an? Sie waltet eines liturgischen Amtes, für das man Begeisterung mitbringen muß. Es gibt ein Mysterium im Herzen des Lärms. Ihr Spott ist eine Form der Hingabe, die Ketzerei ihre Art der Verehrung. Kollegen von Hochkultursendungen sollten sich ein Beispiel nehmen an solcher Geistesgegenwart, die sich alle Freiheit der Welt nehmen kann, weil sie das Gewicht ihrer Gegenstände stillschweigend voraussetzt. Die religionssoziologische Metapher ist hier einmal tatsächlich am Platz: Kein Wunder, daß “Fast Forward” Kult ist.

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